19. Mai 2015

Borgward ist wieder da – aber nicht in Bremen!

Als Bremer ist einem der Name des Anfang der 1960er-Jahre in Konkurs gegangenen Unternehmens, seinerzeit mit über 20.000 Arbeitsplätzen der weitaus größte Arbeitgeber in der Hansestadt, noch immer ein Begriff. In den vergangenen Wochen nun wurde der Relaunch des Unternehmens gestartet. Oder sagen wir, eher der Marke. Denn während die alte Borgwardsche Villa in Bremen, mittlerweile in ein Bürogebäude umfunktioniert, seit einiger Zeit neue Mieter sucht, ist die neue BORGWARD Group AG in Stuttgart angesiedelt. Und damit sind wir mitten drin im Thema: Wie Zufälle das Leben und den Erfolg nicht nur eines jeden Einzelnen sondern ganzer Städte und Regionen beeinflussen.

 

Die Borgward-Werke verschwanden mit dem Konkurs Anfang der 1960er-Jahre von der Bildfläche und Schritt für Schritt auch die innovativen, formschönen Autos wie die Isabella. Von Zeit zu Zeit sieht man eines der Fahrzeuge in Bremen und umzu in der Sommerluft spazieren fahren, während sich die Welt in den vergangenen 50 Jahren weitergedreht hat.

 

Die Borgward-Betriebsstätten wurden u.a. von Hanomag übernommen, bevor nach deren Übernahme Mercedes die PKW-Produktion in Bremen aufnahm. Das Werk beschäftigt heute über 12.000 Mitarbeiter und ist u.a. Kompetenzzentrum für die weltweite Produktion der C-Klasse.

 

Also alles gut? Nun, die bisweilen etwas eigensinnige Hansestadt kann sich freuen, dass die Ansiedlung eines großen PKW-Werks gelungen ist, immerhin auch heute noch größter privater Arbeitgeber Bremens. Und hinzu kommen zahlreiche Zulieferer mit ihren Produktionsstätten. Also wirklich alles gut?

 

Die BORGWARD Group AG siedelt sich in Stuttgart an. Dort ist das ganze Know-how vorhanden, um heute Automobile entwickeln, bauen und vermarkten zu können. Das Know-how steckt in den Köpfen der handelnden Menschen. In Stuttgart ist heute ein derartiger Neustart viel einfacher als in Bremen, in dem vom gesamten Borgward-Know how im wesentlichen Produktionskompetenz übriggeblieben ist. Ähnliches wie über Stuttgart wäre wohl auch über den Standort München zu sagen.

 

Apropos München. Der dortige Hersteller schlitterte Ende der 1950er-Jahre in die Krise. Die Übernahme durch Daimler-Benz wurde u.a. durch ein Engagement des heutigen Haupteigners verhindert. Ähnlich wie Borgward standen die Münchner mit dem Rücken an der Wand. Während Borgward die benötigte Bürgschaft des Bremer Senats nicht erhielt und schließlich in Konkurs ging, wurde BMW’s Eigenständigkeit bewahrt.

 

Nun neigt der Mensch dazu, in Geschichten zu denken und nicht zu einer Geschichte passende Tatsachen auszublenden (sog. „Geschichtentäuschung“) sowie Kausalketten aufzustellen, die das tatsächlich Geschehene rückblickend als folgerichtig und allein möglich erscheinen lassen (sog. „Rückschaufehler“). Wir vergessen gerne, dass Ereignisse auch anders hätten ausfallen können – Geschichte findet nur einmal statt, eine „Parallelwelt“ gibt es nicht und mithin auch kein anderes „folgerichtiges“ Ergebnis.

 

Gönnen wir uns trotzdem zumindest gedanklich den Ausflug in eine „Parallelwelt“, die rückblickend sicherlich genauso „folgerichtig“ wäre. Borgward, der seinerzeit fünftgrößte deutsche Automobilhersteller, überlebt und nimmt eine ähnliche Entwicklung wie Daimler. BMW hingegen wird von Daimler übernommen. Wie könnte die Bremer Wirtschaftswelt dann heute aussehen? Eine breite Automobilkompetenz, eine Zentrale mit anspruchsvollen, gut bezahlten Arbeitsplätzen in Entwicklung, Marketing und Verwaltung, zahlreiche Aufträge an die zahlreichen lokalen Zulieferer, Dienstleister, Agenturen und Berater. Ein dynamischeres Wirtschaftsumfeld.

 

„Hätte, wäre, wenn und aber“ kann man darauf antworten, und „was ist, ist“. Aber: In vielen Fällen sind wir bereit, den Zufall zu akzeptieren. Beim Familienzuwachs zum Beispiel, wenn der Nachwuchs zufällig ein Junge oder ein Mädchen wird (spezielle „Wundertechniken“ einmal beiseite geschoben). In wirtschaftlichen Fragestellungen beharren wir hingegen darauf, dass alles Handeln auf rationalen Entscheidungen basiert und Erfolg nur bedingt etwas mit Glück zu tun hat (sog. „Kontrollillusion“). Wir können mit dieser Vorstellung einfach besser leben. Ich denke, wir sollten uns den Gedanken an die Parallelwelt (in die Zukunft blickend auch Szenario genannt) dennoch von Zeit zu Zeit erlauben. Es eröffnet uns andere Perspektiven und erhöht langfristig die Qualität unser Entscheidungen. Häufig liegen Glück und Pech, Erfolg und Misserfolg sehr dicht beieinander – der Zufall hat seine Hände im Spiel.

 

Nach der Abwicklung der Borgward-Werke ist sogar noch Geld für die Eigentümer übriggeblieben, was für einen Konkurs doch sehr unüblich ist. Ein Trostpflaster für die Eigentümer, nicht aber für die Wirtschaft der Hansestadt. So blieb und bleibt auch heute noch den Menschen dieser Stadt nichts anderes übrig, als wieder aufzustehen und anderweitig ihr „Glück“ zu machen. Denn Zufall hin oder her – in einem positiven, erfolgreichen Umfeld lebt es sich doch einfach besser.

 

Und den Stuttgartern drücken wir natürlich, bremisch-hanseatisch, die Daumen.

 

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